Neuer Policy Brief: Die verteilungspolitische Prioritätenpyramide

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Die Vision von demokratischer Teilhabe mit Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit ist in und außerhalb sozialdemokratischer Parteien durchaus vorhanden. Was fehlt ist hingegen eine glaubwürdige und nachvollziehbare Operationalisierung abstrakter Werte und Visionen in politische Alltagspraxis. Leonhard Dobusch und Nikolaus Kowall entwerfen zu diesem Zweck in einem neuen Policy Brief eine verteilungspolitische Prioritätenpyramide. Aus dem Fazit:

Für die Sozialdemokratie liegt in dem Comeback der Verteilungsfrage Chance und Herausforderung gleichermaßen. Die Chance besteht darin, dass die sozialdemokratische Kernkompetenz, für eine gleichmäßigere und damit gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen zu sorgen, auch das wirtschaftspolitische Gebot der Stunde darstellt. Progressive Verteilungspolitik wird zweifellos auch mit wirtschaftlich positiver Entwicklung belohnt werden. Die Herausforderung wiederum ist es, auch jenseits von absoluten Mehrheiten progressive Verteilungspolitik durch- und umzusetzen. Die hier präsentierte Prioritätenpyramide möchte dazu einen kleinen Beitrag leisten.

prioritätenpyramide
Der Policy Brief steht unter einer Creative-Commons-Lizenz und kann hier als PDF heruntergeladen werden.

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Russisch-westliche Beziehungen als Systemkonflikt? Mögliche Folgen für eine sozialdemokratische Außenpolitik

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Michael Sander

Unter dem Eindruck der Ukrainekrise werden russisch-westliche Beziehungen oft als Systemkonflikt beschrieben – Stichwort „neuer Kalter Krieg“. Werden Systemkonflikte politikwissenschaftlich als Auseinandersetzungen um die grundlegenden Institutionen internationalen Zusammenlebens verstanden, muss diese Einschätzung zumindest differenziert werden – auch wenn die gegenseitigen Beziehungen ohne Frage stärker von Konflikten geprägt sein werden. Dennoch besteht mit der einflussreichen Bewegung des Neo-Eurasismus das Risiko, dass es zu einem tatsächlichen Systemkonflikt kommen kann. Diese maßgeblich durch Alexander Dugin geprägte Ideologie versteht internationale Politik als eine unausweichliche Auseinandersetzung zweier notwendig verfeindeter Prinzipien, nämlich des „Atlantismus“ – Individualismus, Rationalismus, Materialismus – und des „Eurasismus“ – Kollektivismus, Spiritualismus, Traditionalismus. Diese Prinzipien – so Dugin – liegen zwangsläufig solange in Konflikt miteinander, bis sich eines als Grundlage menschlichen Zusammenlebens weltweit durchsetzt.

Die neuen Konturen russisch-westlicher Beziehungen sowie die Möglichkeit eines echten Systemkonflikts erfordern eine Überprüfung sozialdemokratischer Außenpolitik: Erstens muss die Tradition des „Wandels durch Annäherung“ so neujustiert werden, dass sie ein weiteres Erstarken des Neo-Eurasismus verhindern kann. Neben moderaten Akteuren in der russischen Elite müssen hierzu stärker als bisher auch gesellschaftliche Gruppen angesprochen werden. Zweitens müssen auch die Widersprüche des „Wandels durch Annäherung“ stärker thematisiert werden. So ist unklar, welcher Aspekt Priorität hat, wenn aus der Annäherung eben kein demokratischer Wandel folgt. Auch müssen politische Wechselwirkungen mit der Einhegungsstrategie – containment – geklärt werden, um demokratische Außenpolitik insgesamt kohärenter zu gestalten. Drittens muss geklärt werden, wie die Sozialdemokratie in einer Welt erstarkender autoritärer Regime ihr Ziel erreichen will, „Globalisierung demokratisch zu gestalten“. Dies erfordert eine langfristige strategische Planung, die neben einer Zielvorstellung für eine demokratische Globalisierung auch die erforderlichen Zwischenziele und Instrumente in den Blick nimmt.

Gedanken zum Themenfeld „Perspektiven Sozialer Demokratie“

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Julian Junk

Die SPD versucht sich derzeit an dem Spagat, eine zugleich wirtschaftsfreundlich-liberal, bürgerrechtlich-liberal und sozialpolitisch-links zu sein. Wiewohl sie in allen drei Feldern erfolgreich Projekte umsetzt und die dementsprechenden Ministerien weitestgehend fehlerfrei führt, kommt sie nicht aus den Umfragetiefs heraus. Man scheint strategisch darauf zu bauen, dass diese Einzelerfolge irgendwann als Gesamterfolg der SPD zugeschrieben werden. Gemeinsam mit einer berechenbaren Verlässlichkeit im innen- wie außenpolitischen Regierungsalltag würde das schon irgendwann zu Stimmenzuwächsen führen. Grundsätzlich ist diese Strategie der Zuschaustellung von Regierungsfähigkeit nicht verkehrt, aber sie muss um eine größere, integrierende und vor allem zukunftsorientierte Leitidee und eine korrespondierende koalitionspolitisch klare Profilierung ergänzt werden. Und zwar einer Profilierung, die sich den Vorteil, den SPD im Gegensatz zur Union hat, in ihrem mitte-links Lager realistische Chancen einer Mehrheit zu bekommen. Dazu muss man das Risiko einer Koalition mit der Linkspartei auch auf Bundesebene endlich in Kauf nehmen und damit die dortigen moderaten Kräfte stärken. Dies bedarf aber glaubwürdiger, inhaltlicher Zielsetzungen, welche etwaigen außen- und steuerpolitischen Leicht-/Irrsinn der Linkspartei durch rote Linien Grenzen setzt, aber nicht gleich eine Koalition ausschließt. Diese Zielsetzungen sollten die gemeinsame Profilierung in einigen Bereichen ebenso hervorheben, wie deren Zukunftsorientierung (also weg von einer Rhetorik des Lamentos und der Agenda- und Sozialsystemkorrekturen). Dies auch als Kontrastprogramm zum Merkel-Verwalten. Einige Themen könnten hier sein:

  1. Vor allem eine Schwerpunksetzung auf massive Infrastrukturinvestitionen (welche die Elektrifizierung der Verkehre und größere Würfe im Bereich einer europäischen, fossil- und atomfreien Energiepolitik miteinschließt) ggf. über schuldenfinanziert über einen Fonds.
  2. Eine weitere Schwerpunktsetzung auf Investitionen im Bereich Bildung, die die Krippe ebenso beinhaltet wie Hochschule und berufliche Weiterbildung.
  3. Die Einführung von mehr direkt-demokratischen Elementen auch in der Bundespolitik und weitere Korrekturen an Planfeststellungsverfahren.

Leitbild „Sorgende Gesellschaft“. Politik für die soziale Mitte.

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Fedor Ruhose

Deutschlands Gesellschaft wandelt sich. In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat Rainer Geißler die zentralen empirischen Befunde zusammengefasst (Geißler 2010):

  • Die soziale Ungleichheit nimmt in Form einer zunehmenden Polarisierung zwischen Privilegierten und Benachteiligten zu; Reiche und Arme werden immer zahlreicher.
  • Im Zuge der Einkommenspolarisierung bröckelt die gesellschaftliche Mitte etwas nach unten ab oder aber fühlt sich auf dem Abstieg. In der sozialen Mitte die Abstiegsrisiken größer und die Aufstiegsmöglichkeiten kleiner geworden sind. Dennoch ist das Selbstverständnis der Westdeutschen als Mittelschichtgesellschaft nicht beeinflusst.
  • Erheblich angestiegen sind jedoch soziale Ängste und Unsicherheiten. Die Ausbreitung dieser Ängste in die Mitte, auch in die obere Mitte, ist zum Teil eine Folge des „Spill-Over-Effekts“, ein „Überschwappen“ von unten, bei vielen ohne reale Grundlage.
  • Das Normalarbeitsverhältnis – die unbefristete Vollzeitbeschäftigung – ist rückläufig, prekäre Arbeitsverhältnisse wie Befristung, Minijobs und Leiharbeit, die tendenziell mit niedrigen Einkommen verbunden sind, nehmen zu.
  • Im Hinblick auf die Generationenmobilität ist Westdeutschland weiterhin eine Aufsteigergesellschaft. Da die Einbrüche im Nettoäquivalenzeinkommen im Osten stärker ausgefallen sind als im Westen, ist der Aufholprozess nicht nur ins Stocken geraten, sondern die West-Ost-Wohlstandslücke hat sich wieder geöffnet.
  • Die große Mehrheit der Bevölkerung hat die Polarisierung wahrgenommen. Sie deutet diese als zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Gut vier Fünftel empfinden das Ausmaß der sozialen Ungleichheit als zu groß. Die Mächtigen denken allerdings anders.
  • Deutschland ist stärker durch Migranten unterschichtet als alle anderen vergleichbaren Einwanderungsgesellschaften.

 

Wer einen Blick in eine mögliche Zukunft der deutschen Gesellschaft werfen möchte, kann diese in den Reportagen von George Packer finden. Der europäische Kontinent folgt Trends der amerikanischen Gesellschaft meist mit ungefähr zehn Jahren Verspätung nach. Die oben beschriebenen Trends zeigen: Wir haben derzeit die gleiche Richtung eingeschlagen und wissen es noch nicht. Gleich den „Roaring Nineties“ hechten wir von einem ökonomischen Erfolg zum nächsten. Alleine die mittlerweile verfassungsrechtlich verankerte Austeritätspolitik zwingt uns aber dazu, ein neues sozialdemokratisches Projekt zu formulieren. Es gilt, auch in unsicheren Zeiten den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern.

Eigentlich müsste dieser gesellschaftliche Wandel dafür sorgen, dass die Sozialdemokratie mit Erfolg die Wahlen bestreiten kann. Und in der Tat waren die Wahlen in den Bundesländern in der Zeit der Wirtschaftskrise erfolgreich für Rot-Grün, so dass sogar schon über „Rot-Grün 2.0“ gesprochen wurde (Ruhose/Schmitt 2013). Doch kann man international feststellen, dass diese Krisenzeit keine „gute Zeit“ für die progressiven Kräfte darstellt (Fukuyama 2014). Und auch die Wahlanalyse der Bundestagswahl 2013 zeigt, dass die SPD nicht als Problemlöser wahrgenommen wird.[1]

Die gesellschaftliche Verankerung der ehemals großen intermediären Organisationen, insbesondere der Parteien, erodiert. Im Gegenzug sind politische Entscheidungsprozesse immer stärker mediatisiert (Korte 2014: 9). Außerdem ist der politische Diskurs in Deutschland seltsam verflacht. Zum einen wollen die Deutschen die Überparteilichkeit, in der Sonntagsfrage findet die Große Koalition als favorisierte Konstellation immer eine große Mehrheit. Zum anderen wird so die Demokratie geschwächt, denn viele gehen nicht mehr zur Wahl oder wählen den neuen Protest mit Akteuren wie der AfD (vgl. Bertelsmann-Stiftung 2013).

Das alles zeigt: Die SPD hat mit ihrer Programmatik in den vergangenen Jahren nicht auf die Gefühle der Menschen reagieren können. Linke Vordenker haben in den vergangenen Jahren eher analysiert, was alles in der Gesellschaft schief läuft. Tobias Dürr hat daher recht, wenn er festhält: „Nur könnte es sein, dass unbefriedigende Zustände und eine bestimmte Art, verdrossen über diese Zustände zu sprechen und zu schreiben, irgendwann beginnen, sich gegenseitig zu verstärken. Ganz einfach

deshalb, weil die stete Beschwörung ubiquitärer Missstände mutlos macht und lähmt.“ (Dürr 2012)

Hier nun ein Vorschlag, wie auf den gesellschaftlichen Wandel und die kommenden politischen Herausforderungen aus sozialdemokratischer Sicht positiv reagiert werden könnte. Eine Politik, die für die „arbeitende Mitte“ oder die „solidarische Mehrheit“ oder eben die „soziale Mitte“ attraktiv ist. Nur durch die Stärkung der Mitte kann es auch gelingen Deutschland als soziale Demokratie in Zeiten von Austerität und Schuldenbremse zu erhalten. Diese werden die nächsten Jahre prägend sein. Da es hier aufgrund hoher Hürden keine Veränderung kommen wird, muss die SPD ein Programm formulieren wie wir alle zusammen – die Gesellschaft – Deutschlands ökonomischen Erfolg und den sozialen Zusammenhalt langfristig sichern.

Die sorgende Gesellschaft und ihre Herausforderungen

Folgt man dem Wissenschaftler Robert Gordon so stellen sich den internationalen Industrienationen sechs Herausforderungen, die die Innovationstätigkeit heutzutage bremsen: Demografie, Bildung, Ungleichheit, Globalisierung, Energie und Umwelt sowie die hohe Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte (Gordon 2012). Außerdem: Blickt man empirisch auf das Wirtschaftswachstum, dann spricht viel für die wahrscheinliche Unausweichlichkeit der Postwachstumswirtschaft. Bei sinkenden Wachstumsraten gilt es zum einen bis zum Jahr 2020 die Schuldenbremse einzuhalten und zugleich auch die Infrastruktur- und Bildungsinvestitionslücken zu schließen. Dafür muss eine Gesamtlücke im Umfang von rd. 5 Prozent des BIP ausgeglichen werden (Deubel 2011).

Aufstieg- und Bildungschancen werden zunehmend geringer. Dies führt dazu, dass viele Leute ihr Können und Potential nicht voll entfalten könnten. Es gibt sogar Tendenzen, dass es erstmalig in der Moderne dazu kommt, dass es nachfolgenden Generationen schlechter gehen könnte als vorhergehenden. Kocka und Merkel weisen zudem daraufhin, dass die Logiken von Kapitalismus und Demokratie sich heute als so verschieden erwiesen, dass zwischen beiden zwangsläufig Spannungen auftreten müssen (Kocka/Merkel 2014) und ja auch derzeit zu beobachten sind (Ruhose/Schmedes 2014).

Es bedarf eines neuen sozialdemokratischen Politikentwurfs jenseits der Alternativlosigkeit, der auf die Stärke der Zivilgesellschaft setzt, der Gesellschaftlichen Zusammenhalt in schwierigen Zeiten ermöglicht. Deutschland geht es derzeit gut, diese Zeit sollte genutzt werden, die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Gesellschaft zu erhöhen. Der Aufstieg der AfD, die schwache Wahlbeteiligung und das sinkende Vertrauen in die Parteien bei gleichzeitig steigenden Ansprüchen an den Staat machen dies besonders notwendig.

Dieser Politikentwurf, der hier vorgeschlagen wird, versucht das Leitbild einer Caring Community – der sorgenden Gemeinschaften[2], einem Begriff aus der Behinderten- und Pflegepolitik – mit einem tragfähigen Konzept zu hinterlegen, das sich nicht als „Revolution“ darstellt, sondern in einer realpolitischen Pragmatik erarbeitet wurde. Er greift die gute alte progressive Tradition auf, „nahe an der Basis zu arbeiten, unter den Menschen zu sein“ (Perger 2014) und ist in diesem Sinne Populistisch.

Die Zeit ist reif für einen neuen Politikentwurf

In unserer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft bedarf es des Zusammenwirkens von sozialen Netzwerken, der Selbstorganisation von Bürgerinnen und Bürgern mit staatlichen Instanzen und Institutionen. Eine Politik, die diesem Grundsatz folgt setzt lebendige Nachbarschaften voraus, die weiterhin das Rückgrat des sozialen Miteinanders vor Ort bilden. Das verlangt nach entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen vor Ort; von Kindertagesstätten über die örtlich präsente Jugendhilfe bis zum Quartiersmanagement.

Es hat sich in den ganzen Jahren kein neuer Gesellschaftsvertrag etabliert, der eine neue Rolle der Zivilgesellschaft bestimmt, die finanziellen und demographischen Bedingungen der Gesellschaft und auch die Handlungsfähigkeit des Staates berücksichtigt. Das Leitbild des vorsorgenden Sozialstaats ist nicht stark genug gewesen. Die Sozialversicherungen werden vielmehr weiterhin genutzt, um gesellschaftliche Aufgaben zu finanzieren. Die Steuer finanzierten Leistungen (Fürsorgeprinzip) werden im Wesentlichen über die Einkommen der „arbeitenden Mitte“ finanziert.

Sozialen Zusammenhalt und gesellschaftliche Entwicklung sichern im Zeichen der Schuldenbremse bedarf neuer Anstrengungen. Es geht darum neue Allianzen zu schmieden, die sorgende Gesellschaft zu erbauen: Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger, Kirchen und Zivilgesellschaft – alle sind gefragt, die Politik vorneweg.

Die Skandinavier zeigen Wege, wie sich Solidarität in Familien mit einem ausgebauten Sozialstaat auf kommunaler Ebene verbinden und synergetisch kombinieren lassen. Die Bereitschaft zur Sorge braucht, darauf weisen soziologische Befunde hin, einen aktiven Sozialstaat. Die Sorge, ob für Kinder, Nachbarn oder „Alte“, sie gilt es wieder in die Lebensgestaltung zu integrieren, Zeitpolitik wird dafür wichtig.

Das Leitbild der Sorgenden Gesellschaft

Am Anfang des neuen Jahrhunderts versuchte Rot-Grün in Deutschland eine Debatte über die Zivilgesellschaft anzustoßen. Den „den zunehmend individualisierten und fragmentierten Gesellschaften des spät- und postindustriellen Typs verspricht Zivilgesellschaft eine Antwort auf die drängende Frage, was diese Gesellschaften überhaupt noch zusammenhält“ (Kocka 2003). Leider verhalte dieser Diskurs nahezu ungehört oder wurde aufgrund der dann folgenden Agenda-Politik als Depolitisierungsprogramm kritisiert.

Sozialdemokratische Politik stärkt diejenigen, die hart arbeiten und sich an der Finanzierung gesellschaftlicher Solidarität beteiligen. Eine sorgende Gesellschaft – als Leitbild der Gesellschaft des langen Lebens – benötigt Solidarität aller statt Egoismus einiger. Sie kann die Antwort sein auf die drängenden Fragen der sozialen Sicherungen unter finanziellen Restriktionen des Staates.

Der Begriff der „Sorgenden Gesellschaft“ leitet sich ab von den „Caring Communities“ der Pflege- und Behindertenpolitik und beschreibt die Verzahnung von Vereinen und Initiativen mit professionellen Anbietern sozialer Dienste und kommunaler Politik und Verwaltung. Eine solche Erneuerung der Zivilgesellschaft als Verantwortungsgesellschaft mit einem starken Staat kann die Antwort der Sozialdemokratie sein auf die Herausforderungen, die vor uns liegen.

Die „Sorgende Gesellschaft“ schafft durch ein Zusammenspiel von Bürgerinnen und Bürgern, Staat, Organisationen der Zivilgesellschaft und professionellen Dienstleistern ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Sie gestaltet Zukunft vor Ort – unter dem Zeichen finanzieller Restriktionen und den Herausforderungen des demografischen und gesellschaftlichen Wandels.

Wie wir füreinander sorgen, beschäftigt viele Menschen – vor dem Hintergrund des steigenden Pflegebedarfs, der zunehmenden finanziellen Rückzugsgefechte des Staates und der neuen Zuwanderungsströme der letzten Zeit.

Eines der interessanten Ergebnisse der interdisziplinären Forschung in der Gerontologie ist, dass die „Prädiktoren für die fernere Lebenserwartung“ (ISS 2014) nicht primär im hohen Blutdruck und Cholesterinspiegel zu suchen sind, sondern in der Qualität sozialer Netzwerke. Damit wird eine Vorsorgedimension in Bewusstsein gerückt, die auch in Richtung eines Verständnisses von Sorge weist, in dem es nicht primär um Versicherungen geht, sondern um soziale Netzwerke. Für sich zu sorgen heißt, auch für andere Sorge zu tragen. Hier liegt es nahe, den Begriff der Mitverantwortung aufzugreifen.

Die Herausforderung ist somit klar: Wir müssen die Frage des solidarischen Zusammenhalts unter den Zeichen des demografischen Wandels und der Schuldenbremse neu beantworten. Politik muss weiterhin die Sicherung der Teilhabe am sozialen Leben für alle gewährleisten. Um die Sorgefähigkeit der Gesellschaft erhalten zu können, benötigen wir aber eine gemeinsame Anstrengung aller Generationen – füreinander und miteinander. Die zentralen Fragen unserer gemeinsamen Zukunft können nicht an Staat, Markt oder Familie delegiert werden, sie gehen uns alle gemeinsam an. Die Lösung dieser Aufgaben kann nicht (allein) mit neuem Geld geschehen.

Dem Staat aber kommt eine wichtige Rolle zu: Zum einen als Moderator in einem neuen Wohlfahrtsmix insbesondere auf kommunaler Ebene. Zum anderen aber auch durch eine radikale Aufgabenkritik, die Platz schafft für produktive Staatsausgaben (etwa in Form von Infrastruktur, Bildung oder Forschung und Entwicklung) und somit den Weg in eine Postwachstumsgesellschaft abmildern können. Die Belastungsgrenze für die „arbeitende Mitte“ ist erreicht.

Wir benötigen clevere Ideen, die neuen Herausforderungen anzugehen. Eine Gesellschaft, die das Vertrauen in einen tragfähigen Sozialstaat und dessen Institutionen mit der Bereitschaft, Verantwortung für andere zu übernehmen, verbindet meistert die Herausforderung der nächsten zwanzig Jahre. Wir müssen uns auf den Weg zu einer „Kultur der gegenseitigen Aufmerksamkeit und Solidarität“ (Klie 2014) machen.

Der Gesellschaftsvertrag der „sorgenden Gesellschaft“

Sozialdemokratische Politik richtet sich daran aus, jeden Menschen zu einem selbstbestimmten Leben zu befähigen. Politik und Gesellschaft haben die Aufgabe, die Selbstständigkeit der Menschen zu gewährleisten, es darf keine Einschränkung aufgrund von Geburt oder sozialem Status geben. Die sorgende Gesellschaft erneuert den sozialdemokratischen Traum vom Aufstieg durch Leistung. Dafür setzt sie aber auch Selbstverantwortlichkeit und die damit verbundene vorausschauende Verantwortungsnahme für sich selbst voraus.

Leistung muss sich lohnen, denn sie ist die Grundlage unseres Wohlstandes. Wichtig ist aber auch, dass ein neuer Gesellschaftsvertrag die Mitverantwortlichkeit des Individuums für gesellschaftliche Entwicklung wieder betont. Auf dem Weg zur sorgenden Gesellschaft müssen wir (mindestens) die folgenden vier Vereinbarungen zwischen den Generationen festhalten. Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege sowie die Zeitpolitik in den Mittelpunkt gestellt. Damit werden zentrale Fragen für „Sorgende Gemeinschaften“ aufgegriffen.

Wir benötigen das Engagement einander nahe stehender Menschen, von Nachbarn ebenso wie von beruflichen Helfern und Profis. Zudem sollten wir die technischen Möglichkeiten und das bürgerschaftliche Engagement nutzen. Die Verantwortung der Generationen füreinander können wir nicht durch administrativ organisierte Dienstleistungen ersetzen. Und die Voraussetzungen sind nicht schlecht: Kein anderes nord- und westeuropäisches Land verfügt über einen so hohen Anteil an pflegenden Angehörigen wie Deutschland. Klaus Dörner hat für den Bereich Pflege und Demenz daher einmal von der „großen und unsichtbaren Bürgerbewegung“ in Deutschland gesprochen (Klie 2014).

Thomas Klie hat Recht, wenn er schreibt: „Die soziale Sorgefähigkeit ist Voraussetzung für langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand“ (Klie 2014). Hier liegt die Chance – aber auch die große Herausforderung – für das älter werdende Deutschland. Wir brauchen ein Miteinander aller Generationen und ein Miteinander aller Akteure. Der Staat wird in Zukunft andere Schwerpunkte setzen müssen. Die Schuldenbremse wird zu einer stärkeren Fokussierung staatlicher Aufgaben führen. Dies wird dann noch verstärkt, solllte es sich rächen, dass notwendige Investitionen im derzeit positiven Umfeld nicht getätigt werden und in der Zukunft unter schlechteren Bedingungen nachgeholt werden müssten. Viele gesellschaftliche Akteure sind also in vielfältiger Weise gefragt, Familien und andere kleine Lebenskreise in ihrer Sorgefähigkeit – für Junge, Alte und sich selbst – zu unterstützen, zu begleiten und zu entlasten. In manchen Fällen sogar, um sie zu ersetzen.

Es bedarf eines neuen Zeitregimes. Die Verantwortungsübernahme für andere, das soziale Miteinander braucht verfügbare Zeit. In einer Zeit, in der die Zeit zum kostbarsten Gut wird, die Beschleunigung zunimmt, die Ausdehnung der Arbeitszeit und Verfügbarkeit für Arbeitszusammenhänge Zeit für das soziale Miteinander beschränkt, sind „Sorgezeiten“ keineswegs selbstverständlich. Beim Thema Vereinbarkeit und Zeitpolitik lohnt es, sich im europäischen Ausland umzusehen. Wie kommt es, dass beispielsweise Norwegen und Schweden bei einem sehr ausgebauten Sozialstaat einen so hohen Anteil an „Sorgezeiten“, Zeiten für die Familienarbeit – über die Geschlechter hinweg – aufweisen.

Auch zeigen uns die skandinavischen Länder exemplarisch, dass freiwilliges Engagement positiv korreliert mit einem aktiven Sozialstaat. Zeitpolitik, die Vereinbarkeit von Erziehung und Pflege, das sind Fragen, die für die „Sorgende Gesellschaft“ hoch relevant sind. Ohne eine solche Zusammenschau und Verknüpfung bleibt das neue Leitbild appellativ.

In den Alterswissenschaften gibt es das Konzept der „Generativität“, um zu erklären, wie im hohen Lebensalter noch ein sinnerfülltes Leben möglich ist. Der Mensch will einen Beitrag zum Fortbestand der Familie, der Gemeinschaft oder der Gesellschaft leisten. Nutzen wir das. Es geht darum etwas zu bewegen. Gehen wir los und versuchen, eine sorgende Gesellschaft zu entwickeln.

Literatur

  1. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Prekäre Wahlen. Milieus und soziale Selektivität der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013. Gütersloh 2013.
  2. Deubel, Ingolf: Zukunftsinvestitionen trotz Schuldenbremse? Bonn 2011.
  3. Dürr, Tobias: Welt voller Warnzeichen. In: Berliner Republik 1/2012. Berlin 2012.
  4. Fukuyama, Francis: The Future of History. Can Liberal Democracy Survive the Decline of the Middle Class? In: Foreign Affairs Januar/Februar 2012. http://www.foreignaffairs.com/articles/136782/francis-fukuyama/the-future-of-history (letzter Zugriff: 23. September 2014)
  5. Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Aktuelle Entwicklungen und theoretische Erklärungsmodelle. Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn 2010.
  6. Gordon, Robert: Is U.S. Economic Growth Over? Faltering Innovation Confronts the Six Headwinds, NBER Working Paper 18315. Cambridge 2012.
  7. Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. (ISS) (Hrsg.): Sorgende Gemeinschaften – Vom Leitbild zu Handlungsansätzen. Dokumentation des Fachgesprächs am 16. Dezember 2013. Frankfurt am Main 2014.
  8. Klie, Thomas: Wen kümmern die Alten? Auf dem Weg in die sorgende Gesellschaft. München 2014.
  9. Kocka, Jürgen und Merkel, Wolfgang: Neue Balance gesucht. Gefährdet der Finanzkapitalismus die Demokratie? In: WZB Mitteilungen Heft 144. Berlin: Juni 2014, S. 41-44.
  10. Krugman, Paul: Secular Stagnation, Coalmines, Bubbles, and Larry Summers, New York Times 2014.
  11. Perger, Werner A.: „Träumen wir vom guten Populismus“, http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/populismus-in-europa/artikel/detail/traeumen-wir-vom-guten-populismus-367/ (Letzter Zugriff: 23. September 2014).
  12. Ruhose, Fedor und Schmitt, Felix: Rot-Grün 2.0. In: Berliner Republik. Das Debattenmagazin 14 (2013), H. 1, S. 78 – 81.
  13. Schmedes, Hans-Jörg und Ruhose, Fedor: Vertrauen, Teilhabe und Transparenz – Werte und Legitimation von Politik. In: Krell, Christian und Mörschel, Tobias (Hrsg.): Werte und Politik. Wiesbaden i. E.
  14. Summers, Larry: Rede an der IMF fourteenth annual research conference in honor of Stanley Fischer, 8. November 2013.

Erläuterungen

 [1] (1) Nur 22 Prozent trauten der SPD zu, die Wirtschaft in Deutschland voranzubringen, nur 20 Prozent glaubten, dass die Partei di Euro- und Schuldenkrise in den Griff bekommen kann, bei der Union glaubten dies 46 Prozent; (2)+# Kanzlerin Angela Merkel war weit beliebter als Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. 60 Prozent meinen, Merkel mache „nicht Parteipolitik, sondern Politik für das Land“. Es gab keine Wechselstimmung, da es den Menschen gut geht. (3) Die SPD hat mit dem Glaubwürdigkeitsverlust im Bereich der Kernkompetenz soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Insgesamt hat die Union in den SPD-Feldern punkten und die gesellschaftliche Stimmung zu ihren Gunsten drehen können. (4) Die kulturelle Kluft zwischen der SPD und ihrer einstigen Kernklientel, den einfachen Leuten, wächst. (5) Die Union konnte von früheren Nichtwählern 1,13 Millionen Wähler für sich gewinnen, die SPD 360 000. Die SPD verlor 210 000 Wähler an CDU/CSU und immerhin 180 000 an die eurokritische AfD. (6) Die SPD verliert die Wahlen im Osten, diesmal konnte sie nur ein Direktmandat erringen. Dies hat vor allem damit zu tun, dass sie zu wenig personelle Identifikationsfläche im Osten bietet.

[2] Natürlich gibt es viele Vorbehalte gegen den Begriff der Sorge. Mit Thomas Klie kann man Sorge als vorausschauende anteilnehmende Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere umschreiben. Dann empfinde ich den Begriff als hochaktuell. Schon Hannah Arendt verwies darauf, dass die soziale und gesellschaftliche Bezogenheit des Menschen zum Kern menschlicher Existenz gehört.

Sozialwissenschaftliche Analyse und programmatische Perspektive der Sozialdemokratie

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Heiko Giebler und Alexander Petring

In den letzten Jahrzehnten kam es zu großen Veränderungsprozessen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen. Sie betrafen unter anderem Ökonomie, Kommunikationsformen, Lebensstile, politische Bezugs- und Herrschaftsräume, politisches Verhalten sowie gesellschaftliche Wert- und Bewertungssysteme. Vor diesem Hintergrund müssen sich politische Akteure hinterfragen, inwieweit hergebrachte Narrative, Glaubenssätze, Strategien und Organisationsformen angemessen sind, diesen Veränderungen zu begegnen. Wir glauben, dass die notwendige Debatte über eine inhaltlich-progammatische (Neu-)Ausrichtung von übergeordneten Überlegungen flankiert werden muss. Diese Überlegungen beinhalten Fragen nach der Art und Weise, wie und auf welcher Grundlage neue Inhalte entwickelt und später evaluiert werden können. Wir plädieren also für eine (sozial-) wissenschaftliche Einrahmung eines solchen Programmprozesses.

Das beinhaltet unserer Meinung nach vor allem den systematischen Rückgriff auf sozialwissenschaftliche Methoden und Instrumente, aber auch existierende Daten oder Analysen jenseits kommerzieller Beratungs- und Marktforschungsinstitute. Das gilt für alle Phasen des politischen Zyklus – von der Programmdiskussion über die Kommunikation von politischen Inhalten bis hin zum Verständnis des Wahlergebnisses. Die eigenständige politische Datenanalyse ist ein großes, weitgehend ungenutztes Professionalisierungspotenzial. Die deutsche Sozialdemokratie ist im Bereich der Demoskopie nahezu vollständig auf die Expertise und Interpretation der kommerziellen Umfrageinstitute angewiesen und damit nicht unabhängig in strategischen Einschätzungen und Entscheidungen. Die SPD etwa verfügt über keine systematischen Evaluationsmechanismen im Hinblick auf neue und alte Wahlkampfinstrumente. Ein großer Schatz an (zum Teil sogar frei verfügbaren) Daten wird bislang kaum oder gar nicht genutzt. Ein solches sozialwissenschaftlich eingerahmtes Vorgehen ist kein Selbstzweck: Für die Entwicklung und erfolgreiche Umsetzung politischer Inhalte ist ein solches Umdenken (einschließlich der daraus resultierenden organisatorischen Konsequenzen) vielmehr eine notwendige Bedingung.

Die verteilungspolitische Prioritätenpyramide: Heuristik zur Operationalisierung sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Leonhard Dobusch und Nikolaus Kowall

Die vielgescholtene Visionslosigkeit der Sozialdemokratie ist ein Mythos. Die Vision von demokratischer Teilhabe mit Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit ist durchaus vorhanden. Bis zu einem gewissen Grad ist es das ehrliche Bemühen vieler Engagierter sich genau diesen Idealen anzunähern, das die Sozialdemokratie immer noch für viele Menschen attraktiv macht. Die grobe ideologische, wertebasierte Orientierung ist nicht, was der Sozialdemokratie in Deutschland und Europa fehlt.

Was hingegen in den 1990er Jahren abhanden kam und seither nur in kleinen Teilen wieder hergestellt wurde, ist ein Kompass für konkrete praktische Politikprojekte, vor allem in sozio-ökonomischer Hinsicht. Es fehlt eine glaubwürdige und nachvollziehbare Operationalisierung abstrakter Werte und Visionen in politische Alltagspraxis. Dreh- und Angelpunkt für soziale Demokratie im Allgemeinen und die historische Rolle sozialdemokratischer Bewegungen im Kapitalismus ist dabei die Adressierung der Verteilungsfrage. Sie ist deshalb von so zentraler Bedeutung, weil die Vielzahl ihrer Implikationen charaktergebend für eine Gesellschaft ist. Augenscheinlich löst Umverteilung in einem ersten Schritt die soziale Miesere ganzer Bevölkerungsschichten – von ihrem materiellen Wohlergehen bis zur Vielfalt ihrer Lebenschancen und dem damit einhergehenden Zuwachs von Freiheit in der Lebensgestaltung. Weniger offenkundig aber mindestens so bedeutsam ist die demokratische Dimension der Verteilung. Sie wurde im Godesberger Programm der SPD (1959) bereits für die Ewigkeit formuliert: „Wer in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaftsmacht über Menschen aus“. Ebenfalls nicht völlig augenscheinlich aber elementar ist schließlich die ökonomische Dimension der Umverteilung. Gesellschaftlicher Wohlstand ist immer Ergebnis kollektiv-arbeitsteiliger Produktivkraftentfaltung. Das zentrale Paradox ist dabei, dass ungezügelte, kapitalistische Marktwirtschaft die Voraussetzungen für ihr nachhaltiges Funktionieren selbst untergräbt.[1] Denn werden Produktivitätsgewinne nicht gesellschaftlich breit verteilt und damit nachfragewirksam, fehlt der Impuls für weitere wirtschaftliche Entwicklung. Genau diese Umverteilung von Gewinnen geschieht aber nicht automatisch, sondern marktwirtschaftliche Prozesse führen, wie jüngst Piketty empirisch gezeigt hat,[2] tendenziell zu einer ständig wachsenden Ungleichheit in der Vermögensverteilung. Eine Konzentration von Einkommen und Vermögen geht in der Folge einher mit einer höheren Sparquoten und Finanzveranlagungen von Reichen und ist damit verantwortlich sowohl für eine Nachfrageschwäche der Massen als auch die eigentliche Ursache von Finanzkrisen.

Kernkompetenz Verteilungspolitik

Eine nachhaltigere, gleichmäßigere Verteilung, beruht demgegenüber auf zwei Eckpfeilern: Einerseits muss die Entwicklung der primären Markteinkommen einer produktivitätsorientierte Lohnpolitik folgen. Andererseits bedarf es staatlich korrigierter Sekundäreinkommen durch umverteilende Steuern und Transfers. Es ist der Fokus auf die Auseinandersetzungen rund um diese Verteilung von Produktivitätsgewinnen – von Marx als „Klassenkampf“ zwischen Kapital und Arbeit bezeichnet – der die ArbeiterInnenbewegung von anderen progressiven Strömungen unterscheidet. Diesen Klassenkampf demokratisch zu führen ist die „Kernkompetenz“ und „Kernaufgabe“ der Sozialdemokratie, sei es in Form von Parteien, Gewerkschaften oder Verbänden[3] Und es ist auch der (Miss-)Erfolg sozialdemokratischer Bewegungen im Rahmen dieser Auseinandersetzung der für (In-)Stabilität marktwirtschaftlicher Gesellschaften entscheidend ist.

Auch wenn der Begriff des „Klassenkampfs“ inzwischen an Attraktivität verloren hat, so gilt das nicht für die zentrale, mit ihm verbundene Botschaft: Umverteilung von Gewinnen ist nicht nur gerecht – niemand kann sein Einkommen alleine „verdienen“ – sie ist auch ökonomisch sinnvoll. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft entsteht Wohlstand immer nur gemeinschaftlich. Zumindest in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und hoher Vermögensungleichheit gibt es deshalb keinen Widerspruch zwischen ökonomischer Vernunft und sozialem Handeln. Und auch ökologische Herausforderungen lassen sich nur durch diesbezügliche Umverteilung von (Investitions-)Mitteln meistern.

Hierarchie von Prioritäten

Die Erkenntnis bzw. Wiederentdeckung der Bedeutung von progressiver Verteilungspolitik ist aber noch nicht ausreichend für ein Comeback der Sozialdemokratie. Mindestens genauso wichtig ist die Fähigkeit, zur Übersetzung dieser Erkenntnis in konkrete Politikprojekte. Mehr noch, die zentrale Bedeutung der Verteilungspolitik für soziale Demokratie erfordert, jegliche wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahme auf ihre Verteilungswirkungen hin zu prüfen. In diesem Text konzentrieren wir uns auf die Sekundärverteilung, also auf die Korrektur der Markteinkommen durch den Staat. Das liegt nicht an einer Unterschätzung der Primärverteilung – im Gegenteil, die durch Gewerkschaften und Mindestlohn errungenen Einkommen sind mindestens die halbe Miete. Wir möchten uns in diesem Text aber bewusst auf die Frage konzentrieren, welche Verteilungswirkung spezifische Staatseinnahmen und -ausgaben haben – auch in Anbetracht der Regierungsverantwortung sozialdemokratischer Parteien. Im folgenden präsentieren wir eine Heuristik, die eine solche Prüfung anleiten könnte. Konkret schlagen wir eine verteilungspolitische Prioritätenpyramide vor (Abbildung 1).


Abbildung 1: Verteilungspolitische Prioritätenpyramide

Das verteilungspolitische Fundament bilden (1) Sachtransfer- und Infrastrukturleistungen. Öffentliche Kindergärten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Seniorenzentren oder kostengünstiger öffentlicher Personennahverkehr stehen nicht nur allen Menschen in vergleichbarem Maße zur Verfügung, Menschen mit niedrigeren Einkommen sind besonders auf sie angewiesen. Wer sich kein Auto leisten kann, benötigt die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs. Umgekehrt kann auch eine Millionärin nur einen Platz im Bus besetzen.

Verteilungspolitisch ähnlich progressiv wirken (2) monetäre Transferleistungen wie Kindergeld in Deutschland bzw. Familienbeihilfe in Österreich. Ein Geldtransfer in Höhe von monatlich 200 Euro ist für GeringverdienerInnen von enormer Bedeutung, während er nur einen kleinen Teil des Einkommens von SpitzenverdienerInnen darstellt. Direkte Geldtransfers sind deshalb immer besser als Steuerfreibeträge, weil sie auch jenen Menschen zu Gute kommen, die mangels entsprechendem Einkommen überhaupt keine Einkommenssteuern bezahlen.

Sachtransfers haben gegenüber Geldtransfers den Vorteil, dass sie a) vollumfänglich nachfragewirksam werden und b) in Bereichen investiert werden deren volkswirtschaftliche Renditen besonders hoch sind (Bildung, Kinderbetreuung etc.). Damit wirken Sachleistungen makroökonomisch (noch) stimulierender und zielgenauer. Sowohl Sachtransfers als auch Geldtransfers, verteilen Wohlstand ausgabenseitig um. Das ist auch der Grund, warum ausgabenseitige Budgetkonsolidierung – sogenannte „Sparpakete“ – verteilungspolitisch so fatal ist. In der Regel handelt es sich nämlich nicht um langfristig angelegte Effizienzverbesserungen der öffentlichen Dienste, sondern um kurzfristig budgetwirksame Leistungskürzungen. Diese treffen in der Regel jene am stärksten, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Hinzu kommt der Umstand, dass im derzeitigen Steuer- und Abgabensystem in Deutschland und Österreich quasi ausschließlich ausgabenseitig umverteilt wird. Um an diesem Umstand etwas zu ändern, ist es erforderlich sich der Einnahmenseite der Prioritätenpyramide zuzuwenden.

Auf Grund des extrem ungleich verteilten Vermögens – in Deutschland verfügen die oberen 20 Prozent über mehr als 80 Prozent, die unteren 60 Prozent gemeinsam über weniger als 3 Prozent des Privatvermögens[4] – wirken (3) Vermögenssubstanzsteuern in Kombination mit Freibeträgen stark progressiv. Ähnliches gilt für (4) Vermögenszuwachssteuern wie die Kapitalertragssteuer (KeSt). Diese treffen zwar mangels Freibeträgen – sofern sie nicht dem progressiven Einkommenssteuertarif unterworfen werden – alle Menschen mit Kapitaleinkünften, allerdings verfügt wieder nur eine Minderheit über ebensolche in nennenswertem Ausmaß.

Vermögenssubstanz- bzw. -zuwachssteuern machen in Deutschland und Österreich jedoch auf Grund niedriger Sätze, hoher Freibeträge und Versäumnissen bei der Steuereintreibung einen vergleichsweise geringen Anteil am gesamten Steueraufkommen aus. Relevanter ist hier (5) die Einkommenssteuer, deren progressiver Tarif durchaus für ebensolche Verteilungswirkung sorgt. Umgekehrt bedeutet das jedoch, dass populäre Forderungen nach Steuersenkungen in der Regel mit negativen Verteilungswirkungen einhergehen, weil ein großer Teil der Bevölkerung überhaupt keine Einkommenssteuern zahlt. Sie profitieren also gar nicht von Steuersenkungen, während – vor allem bei Steuertarifsenkungen – SpitzenverdienerInnen überproportional stark profitieren.

Unter Verteilungsgesichtspunkten am problematischsten einzustufen sind regressiv wirkende (6) Sozialversicherungsabgaben sowie (7) Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer. Die regressive Wirkung von Sozialversicherungsbeiträgen folgt aus der Beitragsbemessungsgrenze sowie dem Verzicht auf eine progressive Staffelung; es handelt sich bei der Sozialversicherung also de facto um eine nach oben gedeckelte „Flat-Tax“ mit entsprechend regressiver Verteilungswirkung. Eine stärkere Finanzierung von Sozialversicherungs- und Rentensystemen aus Steuermitteln ist deshalb kein Problem, sondern tendenziell sogar wünschenswert.

Verbrauchsteuern wie die Mehrwertsteuer, die Tabaksteuer oder die Energiesteuer wirken schließlich eindeutig regressiv, weil Menschen mit niedrigerem Einkommen dieses quasi zur Gänze verkonsumieren. Der Anteil an Verbrauchssteuern relativ zum Einkommen ist deshalb bei niedrigen Einkommen höher, die Verteilungswirkung negativ.[5]

Im Ergebnis führt die aktuelle Gestaltung des Steuersystems in Deutschland und Österreich dazu, dass auf der Einnahmenseite progressiv wirkende Steuern auf Vermögen bzw. Einkommen gerade einmal die regressive Verteilungswirkung von Sozialversicherungsbeiträgen und Verbrauchssteuern ausgleichen.[6] Dass es letztlich überhaupt zu Umverteilung kommt, liegt ausschließlich an der Ausgabenseite.

Das Prioritätenpyramide kann klarerweise nur als allgemeine Heuristik dienen, deren Regeln auf bestimmten Randbedingungen fußen sowie Ausnahmen zulassen. Beispielsweise ist die progressive Verteilungswirkung von Einkommenssteuern an die progressive Gestaltung der Einkommenssteuertarife gekoppelt. Eine Ausnahme von der Regel der regressiven Verteilungswirkung von Verbrauchssteuern wären beispielsweise Luxussteuern. Eine Ausnahme von der regressiven Wirkung von Ausgabenkürzungen wäre beispielsweise eine Begrenzung staatlicher Spitzenpensionen.

Abgesehen von diesen Spezialfällen lassen sich aber auf Basis der Prioritätenpyramide klare Handlungsempfehlungen für sozialdemokratische Fiskalpolitik ableiten. Für die gesamte Prioritätenpyramide gilt, dass sie auf aufkommensneutrale Strukturreformen abzielt. Besonders wünschenswert wäre beispielsweise, zusätzliche Sachtransferleistungen mittels Vermögenssteuern gegenzufinanzieren. Umgekehrt gilt es eine Steigerung von Sozialversicherungsbeiträge oder gar Verbrauchssteuern zu vermeiden und stattdessen auf deren Substitution durch andere Steuerarten hinzuarbeiten.

Fazit

Es ist kein Zufall, dass sich Verteilungsfragen heute wieder mit besonderer Dringlichkeit stellen. In den 1990er Jahren glaubten viele, auch sozialdemokratisch verortete, PolitikerInnen noch daran, dass ein Verzicht auf Umverteilung und damit steigende Ungleichheit mit wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum vereinbar wäre. Auch der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften hatte sich lange Zeit nicht mehr für Verteilungsfragen interessiert. Die andauernde Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa und das offensichtliche Scheitern von Austeritätsdogmen dominierter Krisenpolitik führt allerdings langsam zu einem Umdenken. Thomas Pikettys Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ist nur der jüngste, empirisch fundierte Beleg für die Einsicht, dass Marktwirtschaft für ihr Funktionieren auf eine Umverteilung von Gewinnen und Vermögen angewiesen ist.

Für die Sozialdemokratie liegt in dem Comeback der Verteilungsfrage Chance und Herausforderung gleichermaßen. Die Chance besteht darin, dass die sozialdemokratische Kernkompetenz, für eine gleichmäßigere und damit gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen zu sorgen, auch das wirtschaftspolitische Gebot der Stunde darstellt. Progressive Verteilungspolitik wird zweifellos auch mit wirtschaftlich positiver Entwicklung belohnt werden. Die Herausforderung wiederum ist es, auch jenseits von absoluten Mehrheiten progressive Verteilungspolitik durch- und umzusetzen. Die in diesem Aufsatz präsentierte Prioritätenpyramide möchte dazu einen kleinen Beitrag leisten.

[1] Polanyi, K. (1944): The Great Transformation: The Political and Economic Origins of our Time. Beacon Press

[2] Vgl. von Treeck, T. (2014): Ungleichheit – Das neue Mega-Thema. Capital, http://www.capital.de/meinungen/ungleichheit-das-neue-mega-thema-2273.html

[3] Kowall, N. (2013): Für einen demokratischen Klassenkampf. Falter, 30. April 2013, http://blog.sektionacht.at/2013/04/fur-einen-demokratischen-klassenkampf/

[4] Vgl. Bach, Stefan (2010): Staatsverschuldung und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz: Öffentliche Armut, privater Reichtum. Wochenbericht des DIW, Nr. 50, online: http://www.theonussbaum.de/text/wochenberichtNr.50-2010.pdf.

[5] Wir fokussieren in diesem Artikel nur auf die soziale Verteilungswirkung des Wohlfahrtsstaates. Eine ökologisch orientierte Steuerung brächte die skizzierte Hierarchie vor allem an der Spitze gehörig durcheinander. Wird die soziale Dimension mitbedacht, können allerdings auch ökologisch intendierte Anreize problemlos in das Steuer- und Transfersystem inkorporiert werden.

[6] Vgl. Für Deutschland: http://www.steuermythen.de/obere-einkommensschichten-tragen-grossteil-steuerlast/ Für Österreich: http://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=36801&mime_type=application/pdf, S. 5

Perspektiven Sozialer Demokratie

Ein Essay zum Thema “Reformperspektiven Sozialer Demokratie” von Dr. Saskia Richter

Digitale Wirtschaft: Internetkonzerne gehören zu den Organisationen, die derzeit sehr regellos arbeiten können, da sie nicht an nationalstaatliche Grenzen und somit nicht an nationalstaatliches Recht gebunden sind. Zudem sind ihre Dienstleistungen so neu, dass auch dafür nur wenige Regelungen bestehen. Big Data und fehlende Steuerzahlungen gehören genauso zu den zukunftsgewandten Themen wie die Gewährleistung von Arbeitnehmerrechten in den Unternehmen oder der Wandel der Innenstädte bei gleichzeitigem Wachstum des Online-Handels. Folgende Fragen wären zu stellen: Welche Folgen hat der digitale Wandel für die Gesellschaft? Welche Rechte hat der Bürger in der digitalen Gesellschaft? Welche Pflichten haben Konzerne? Welche Sicherheiten müssen in Deutschland und Europa Standard werden? Diese Fragen könnten von der SPD vorangetrieben werden. Digitale Wirtschaft und Netzpolitik sollte dabei als Gegenstand täglichen Lebens betrachtet werden; die Differenz zwischen online und offline Kommunikation besteht nicht mehr.

Abgrenzung zu anderen Parteien, insbesondere zur Union: Wirtschaftsmodell, in dem der Mensch im Vordergrund steht. Doch keine unnötige Begrenzung ökonomischen Handelns (Abgrenzung zur Linken).

Mehr Demokratie: In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit kann die SPD die Aufgabe übernehmen, Demokratie zu erklären (Fahimi). Dazu gehört politische Bildung in gesellschaftlichen Bereichen, die einen erschwerten Zugang zu zivilgesellschaftlicher Partizipation haben und zur Wählerklientel der SPD gehören können (Arbeitnehmer mit geringem Einkommen und/oder Bildung, Migranten). Die SPD hat die Aufgabe, die Komplexität von Politik vermittelbar zu machen, z.B. Europa zu erklären und zu erläutern. Gleichzeitig kann Unternehmen und Steuerzahlern verdeutlicht werden, wozu Steuerabgaben sinnvoll verwendet werden; dies sollte jedoch unterschwellig geschehen. Hier kann jedoch auch die klassische Mittelschicht angesprochen werden, die große Lasten trägt und sich teilweise auch resigniert von Politik abwendet. Dabei ist das Thema Direkte Demokratie vorsichtig zu behandeln, weil die SPD zwar die Partei ist, in der Willy Brand „Mehr Demokratie wagen“ gefordert hat, von direktdemokratischen Ansätzen profitiert jedoch eher eine bildungsbürgerliche Klientel, die sich eh schon in Parteien und in zivilgesellschaftlichen Projekten engagiert.

Abgrenzung zu anderen Parteien: Partei der Emanzipation, 150 Jahre Partizipation, „Mehr Demokratie wagen“ (Alleinstellungsmerkmal).

Koalitionsfähigkeit: Die SPD wird derzeit zwischen Befürwortern von Rot-Rot-Grün und deren Gegnern zerrieben. Die Partei steht derzeit sehr eng neben der Union. Wenn die Wahlergebnisse langfristig keine Rot-Grünen Koalitionen mehr ermöglichen, MUSS die SPD mit der Linkspartei regieren. Diese Koalition sollte intern auch in westlichen Landesverbänden vorbereitet werden. Ansonsten verspielt die Partei eine Machtoption für eigenständige Politik, die sie damit langfristig an die Union und eventuell auch an die Grünen abgibt. Ein Argument dafür könnte sein, dass sich die Linkspartei in der Entwicklung seit 1990 – immerhin 25 Jahre nach Ende der DDR – nun ausreichend und auch generationell von ihrer Vergangenheit getrennt hat. Außerdem ist die Linkspartei in den neuen Bundesländern als Volkspartei stark und repräsentativ verankert.

Abgrenzung zu anderen Parteien: Integratives Handeln in der Mitte der Gesellschaft. Argument: Die Union hat unter Merkel eine programmatische Liberalisierung vorgenommen, so dass Platz für eine rechte Protestpartei AfD frei wurde.

Strategische Verortung der SPD in Bezug auf Konkurrenzparteien

Ein Essay zum Thema „Reformperspektiven Sozialer Demokratie“ von Matthias Ecke

Ausgangslage

Traditionell koaliert die SPD mit unterschiedlichen anderen Parteien zur Bildung von Bundes- und Landesregierungen. Mit allen seit 1990 im Bundestag vertretenen Parteien hat sie schon Landesregierungen gebildet. Rund um die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kam erneut die Debatte um die Auswirkungen der Koalitionsaussage der SPD auf die Wahlneigung der eigenen Anhängerschaft auf. Während einige Stimmen die Rolle der SPD als Juniorpartner in der Großen Koalition mit der Union für die deutlichen Stimmenverluste in Thüringen verantwortlich machen, kritisieren andere die fehlende Abgrenzung zur Linkspartei als Ursache für die Wahlniederlage. Mögen solcherlei Urteile oft mit jeweils politischen Präferenzen einhergehen, so bleibt die sozialwissenschaftliche Fragestellung, ob es – jenseits von inhaltlichen und personellen Konstellationen oder politischen Erfolgsbilanzen – einen systematischen Einflussfaktor der strategischen Verortung der SPD in Bezug auf Konkurrenzparteien gibt.

Leitfrage:

  • In welcherRegierungskonstellation und vor dem Hintergrund welcher Koalitionsaussage war die SPD in der Vergangenheit mobilisierungsfähig?
  • Welche systematischen Muster des Wahl(miss)erfolgs in Bezug auf die Kooperation mit dritten Parteien sind für die SPD erkennbar?

 Vorgehen:

  • Analyse aller Wahlergebnisse bei Bundes- und Landtagswahlen seit 1990
  • Vergleich der WählerInnenwanderung in Abhängigkeit von Regierungskonstellation und Koalitionsaussage

 Hypothesen:

  • Die SPD ist dann überdurchschnittlich mobilisierungsfähig, wenn sie
  1. In einer Regierungskoalition selbst der größere Regierungspartner ist (Dimension Ausgangskonstellation)
  • Die SPD ist dann unterdurchschnittlich mobilisierungsfähig, wenn sieöffentlich kundtut eine CDU-geführte Regierung ablösen zu wollen (Dimension Aussage über zukünftige Konstellation)
  1. Zuvor Juniorpartner war (Dimension Ausgangskonstellation)
  2. Öffentlich alle realistischen Alternativoptionen zu einer CDU-geführten Regierung ausschließt (Dimension Aussage über zukünftige Konstellation)
  3. Keinerlei Koalitionsoption im demokratischen Spektrum ausschließt (Dimension Aussage über zukünftige Konstellation)

Eine sozialdemokratische Antwort auf die Staatsschuldenkrise im Euroraum

Schlagwörter

Ein Essay zum Schwerpukt „Europa“ von Simon Vaut

Der Ausweg aus der Krise gelingt nicht mit blinder Sparwut, sondern mit einer nachhaltigen Stimulierung der Realwirtschaft und einer tieferen Integration eines sozialen Europas.

Die von der globalen Banken- und Finanzkrise ausgelöste Staatsschuldenkrise im Euroraum hat die Europäische Union in die schwersten Krise seit ihrer Gründung gestürzt. Dabei weitet sich die Fiskalkrise immer mehr zu einer sozialen Krise aus. Die auf den zahllosen EU-Gipfeln gefassten Spardiktate schnüren vor allem in Südeuropa die wirtschaftliche Entwicklung ab und bringen den sozialen Frieden, ja sogar die Demokratie, vor allem in Griechenland, in ernste Gefahr. Die Arbeitslosenquote in der Euro‐Zone liegt bereits jetzt über dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise 2009 und steigt weiter an. Das bedrückendste: die Jugendarbeitslosigkeit hat in Europa einen traurigen Rekordstand erreicht. In Griechenland und Spanien ist jeder zweite Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren ohne Arbeit. Weiterlesen

Frankreich und Deutschland in Europa

Schlagwörter

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Ein Essay zum Schwerpunkt “Europa” von Leonhard Dobusch

Rechtzeitig zum 100jährigen Jubiläum der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts werden die Gräben zwischen Deutschland und Frankreich wieder tiefer. Zwar droht keine militärische Konfrontation, vor allem Deutschland aber sucht die wirtschaftliche Auseinandersetzung unter dem Mantra der „Wettbewerbsfähigkeit“. Seit Jahren ist die deutsche Berichterstattung über Frankreich geprägt von nationaler Überheblichkeit und Geringschätzung für das Nachbarland. Dabei sind es nicht französische Versäumnisse sondern ist es Deutschlands nationalistischer Spareifer, der Europa spaltet.

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